Deutsche Arthrose-Hilfe e.V. - Archiv: Weltpreis für Hüftgelenkforschung 2010
Der Welt-Preis für Arthroseforschung wird seit 2010 von der Deutschen Arthrose-Hilfe und der Welt-Arthrose-Organisation gemeinsam verliehen. Der erste Welt-Preis würdigt und ehrt eine Forschungs-Arbeit, die zu den erstaunlichsten des Jahrhunderts zählt und welche die Behandlung von Kindern grundlegend verändert hat.
Wenn Kinder stolpern
Manchen Eltern fällt auf, dass ihre Kinder, die schon längst sicher laufen konnten, nun immer häufiger stolpern und manchmal sogar über ihre eigenen Füße fallen. Bei der ärztlichen Untersuchung zeigt sich dann, dass sie beim Gehen ihre Füße nicht geradeaus stellen können. Vielmehr gehen sie mit stark nach innen gedrehten Füßen und Beinen ("Einwärtsgang"). Verursacht wird dies durch eine nach vorne gerichtete Stellung des Hüftkopfes (ärztlich: "Idiopathische Coxa antetorta"). Ohne den Einwärtsgang droht das betroffene Hüftgelenk vermehrt belastet zu werden.
Tausende Operationen
Bei tausenden, nein vermutlich zehn- und hunderttausenden Kindern weltweit wurden deshalb viele Jahre lang große Hüftoperationen durchgeführt, bei denen der Oberschenkelknochen vollständig durchtrennt und in neuer, "richtiger" Position mit einer Metallplatte fixiert werden musste. Für die kleinen Patienten, oft noch im Vorschulalter, und ihre Eltern war dies eine schwere Zeit. Das größte, allzu verständliche Motiv für die Operation war, alles zu tun und frühzeitig zu handeln, um ihnen das Schicksal einer späteren Hüftarthrose zu ersparen.
Die Wende
Wie selten zuvor erbrachte eine einzige, groß angelegte Forschungs-Arbeit eine tiefgreifende Wende. Der Preisträger und seine Kollegen an vier Schweizer Kliniken konnten in einer klinischen Studie beweisen, dass sich diese Fehlstellung des kindlichen Hüftkopfes im Laufe des Wachstums bei den meisten jüngeren Kindern von selbst korrigiert und eine Operation somit nicht notwendig ist. Diese Erkenntnis war für viele orthopädische Kliniken eine Sensation. In kurzer Zeit wurde eine der häufigsten orthopädischen Operationen fast vollständig eingestellt. Diese Forschungsarbeit verdient wahrhaft eine weltweite Würdigung. Inzwischen vermutet man auch, dass sich die Fehlstellung des Hüftkopfes oft rascher zurückbildet, wenn Kinder beim Spielen nicht den umgekehrten Schneidersitz einnehmen, also nicht auf – oder zwischen – den Fersen sitzen.
Der erste Welt-Preis für
Hüftgelenkforschung 2010
würdigt die Forschungsarbeit
von Herrn Prof. Dr. med.
Lutz Jani und Kollegen,
die tausenden Kindern
zugutekam und -kommt.
Arzt und Idealist
Herr Prof. Jani, der leider in der Nacht vom 12. auf den 13. September 2019 verstorben ist, kannte nie einen Acht-Stunden-Tag. "Morgens war er der Erste in der Klinik und abends der Letzte", beschrieb ihn eine Mitarbeiterin. Geboren in Dresden, aufgewachsen in München, war er ärztlich zunächst in München und dann in Basel tätig, dort u. a. an der kinderorthopädischen Abteilung der Universitäts-Klinik. Auch wegen seines zunehmenden internationalen Rufs wurde er 1982 zum Ärztlichen Direktor der Orthopädischen Universitäts-Klinik Mannheim ernannt.
Bedeutende Anerkennungen
Bedeutende Anerkennungen folgten. So war er unter anderem Tagungspräsident der Europäischen Gesellschaft für Kinderorthopädie, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie und langjähriger Gutachter für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Von 1999 bis 2002 war er Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Mit dieser Position war er einer der ranghöchsten deutschen Orthopäden. Seit 1996 war er Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Arthrose-Hilfe.
Gratulation und Dank
Wer die großen Augen von tausenden Kindern vor ihrer schweren Hüftoperation gesehen hat und die Tränen, die viele Eltern trocknen mussten, kann die Bedeutung dieser Forschungsarbeit ermessen. Für uns zählt sie zu den wichtigsten orthopädischen Fortschritten des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig zeigt diese Arbeit, wie bedeutsam exakte klinische Studien sind. Scheinbar selbstverständliche "Wahrheiten" müssen immer wieder wissenschaftlich überprüft und hinterfragt werden. Fortschritte in der Arthrose-Therapie können zudem nicht nur in neuen Operationen gesucht werden, sondern auch in einem besseren Verständnis der natürlichen Heilungsvorgänge. Dann werden sich noch viele weitere Türen zu echten Fortschritten in der Arthrose-Behandlung auftun.
Herr Prof. Jani war ein Wissenschaftler von Weltgeltung, ein hingebungsvoller Arzt und herzensguter Mensch. Als langjähriger Vorsitzender unseres Kuratoriums blieb er der Deutschen Arthrose-Hilfe bis zuletzt aufs Innigste verbunden. Es erfüllt uns mit tiefer Trauer, dass wir ihn nicht mehr an unserer Seite wissen. In großer Dankbarkeit werden wir die Erinnerung an seine so liebenswerte Persönlichkeit und sein Lebenswerk stets in Ehren halten.
Herr Prof. Dr. med.
Lutz Jani erhält
den Welt-Preis für
Hüftgelenkforschung 2010
für seine bahnbrechenden
Erkenntnisse.
Der neue Welt-Preis für Arthroseforschung ist durch mehrere Besonderheiten gekennzeichnet:
Allen Mitgliedern und Spendern, die durch ihre Beiträge und Zuwendungen die Förderung der Arthroseforschung ermöglichen, danken wir sehr herzlich. Forschung kommt allen zugute und ist die edelste Form der Hilfe bei Arthrose. Herzlichen Dank!